Im Zweifel Präsentationsarzneimittel?

Arzneimittel oder (stoffliches) Medizinprodukt? Und – wo genau befindet sich die Grenze zwischen beiden? Diese Fragen beschäftigten den Europäischen Gerichtshof seit einiger Zeit. Dessen Entscheidung erging am 19. Jänner 2023 (C‑495/21 und C‑496/21). Darin werden Arzneimittel klar, aber nicht überraschend wie folgt von (stofflichen) Medizinprodukten abgegrenzt:

„Ist die Hauptwirkungsweise eines Erzeugnisses nicht wissenschaftlich festgestellt, kann dieses Erzeugnis weder unter die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ […] noch unter die Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ […] fallen. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Definition des Begriffs „Präsentationsarzneimittel“ […] erfüllt sind.“

Während Funktionsarzneimittel sich durch ihre pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung auszeichnen, wirken (stoffliche) Medizinprodukte in erster Linie auf physikalischer Ebene. Laut dieser neuen Entscheidung kann ein Funktionsarzneimittel nun nur dann vorliegen, wenn seine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wissenschaftlich gesichert ist. Dasselbe gilt auf der anderen Seite für Medizinprodukte: Auch ihre (in der Regel physikalische) Hauptwirkungsweise muss zur Einstufung als Medizinprodukt wissenschaftlich belegt sein.

Und jetzt wird‘s kritisch: Wenn sich anhand der vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse keine klare Aussage darüber treffen lässt, wie ein Stoff nun genau wirkt, so lässt er sich weder klar als Funktionsarzneimittel noch als Medizinprodukt einstufen – so der Europäische Gerichtshof. Was bleibt, ist eine Einstufung als Präsentationsarzneimittel. Denn als solche werden Produkte bezeichnet, die mit Angaben zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhafter Beschwerden beworben werden – unabhängig von ihrer eigentlichen Wirkung. Problematisch ist hierbei, dass auch stoffliche Medizinprodukte den o.g. Zwecken dienen dürfen. Ist ihre Hauptwirkungsweise nicht wissenschaftlich gesichert, laufen sie daher nun Gefahr, ebenfalls als Präsentationsarzneimittel eingestuft zu werden – mit entsprechenden rechtlichen Folgen.

Wirklich überraschend kommt diese Einschätzung des europäischen Gerichtshofes nicht. Bereits in den sogenannten Guidance Documents der europäischen „Koordinierunsgruppe Medizinprodukte“, konkret dem „Guidance on borderline between medical devices and medicinal products under Regulation (EU) 2017/745 on medical devices“, wurde unter Punkt 1.2.2. festgestellt: Ein Produkt kann nicht als Medizinprodukt eingestuft werden, wenn nicht klar festgestellt werden kann, dass seine bestimmungsmäßige Hauptwirkung eben nicht auf pharmakologischer, immunologischer oder metabolischer Wirkung basiert.

Auch wenn diese Entscheidung erwartbar war – Auswirkungen wird sie dennoch haben. Denn Folge könnten nun noch kritischere Kontrollen von Behördenseite gerade hinsichtlich Medizinprodukten der Klasse I sein. Sie dürfen (mit wenigen Ausnahmen) ohne Beteiligung einer Benannten Stelle in Verkehr gebracht werden. Bei ihnen ebenso wie bei den nach der neuen Rechtslage i.d.R. Klasse II zugeordneten stofflichen Medizinprodukten gilt nun umso mehr: Beim Zertifizierungsverfahren immer die Nachweisbarkeit der Wirkungsweise im Blick behalten!