Nachhaltigkeit Teil 1: OTC- und Kosmetik-Hersteller sollen Kläranlagen-Aufrüstung finanzieren

Nur zwei Industriesektoren sollen für die Finanzierung der 4. Reinigungsstufe in Kläranlagen aufkommen. Die Self Care Industrie könnte diese neue Regelung hart treffen.

Rat und Parlament der EU haben sich auf neue Regeln der Abwasserbehandlung geeinigt. Der finale Gesetzestext zur überarbeiteten Urban Waste Water Treatment Directive (Kommunale Abwasserrichtlinie) liegt vor, das EU Parlament stimmte am 10. April 2024 zu, die Zustimmung des Rats wird für Mai erwartet, im September 2024 soll der Gesetzestext im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden, dann geht es in die nationale Umsetzung mit einem Zeitrahmen von etwa 30 Monaten.

Nur Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetik sollen die Kosten tragen!

Erhebliche finanzielle Auswirkungen kommen damit auf die Hersteller von Humanarzneimitteln und von Kosmetikprodukten zu. Nur diese beiden Industriebereiche sollen nämlich über ein System der erweiterten Herstellerverantwortung für die Finanzierung der sogenannten 4. Reinigungsstufe in Kläranlage zur Kasse gebeten werden.

Mindestens 80% der enormen Kosten für Errichtung und den laufenden Betrieb dieser zusätzlichen Reinigungsstufe zur Entfernung chemischer Spurenstoffe sollen von den betroffenen Unternehmen gestemmt werden. Die nationale Finanzierung wird maximal 20% betragen.

Um ihren Verpflichtungen im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung nachzukommen, sollen die Hersteller im jeweiligen Mitgliedsstaat eine eigene Organisation gründen. Sie sollen außerdem Garantien abgeben, dass sie die Finanzierung der Viertbehandlung von kommunalen Abwässern sicherstellen können.

Große Kläranlagen müssen 4. Reinigungsstufe bis 2045 errichten

Bis 2045 müssen große kommunale Kläranlagen ab 150.000 Einwohnerwerten mit der vierten Reinigungsstufe nachgerüstet werden.

Laut dem Lagebericht 2022 des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus über Kommunales Abwasser gibt es in Österreich 632 kommunale Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von mindestens 2.000 Einwohnerwerten. 3% davon (20 Anlagen) sind größer als 150.000 Einwohnerwerte, diese Großanlagen reinigen fast die Hälfte des anfallenden Abwassers.

Zusätzlich sollen auch Anlagen ab 10.000 Einwohnerwerten – das sind in Österreich knapp 250 – die 4. Reinigungsstufe errichten müssen, wenn bestimmte Risikofaktoren zutreffen. Das ist der Fall, wenn zum Beispiel Grenzwerte bestimmter Stoffe im Abwasser überschritten werden, die in einer Liste erfasst werden. Auch Arzneimittelstoffe zählen zu den kritischen Substanzen, deren Grenzwert eine Rolle spielt, zum Beispiel Diclofenac oder Antibiotika.

Potenziell betrifft die kommunale Abwasserrichtlinie alle in Humanarzneimitteln und Kosmetika enthaltenen Stoffe. Die Richtlinie sieht einige Ausnahmen vor, die Formulierungen dazu sind kompliziert und werfen neue Fragen auf.

Ausnahmeregeln

  1. Die Menge der Stoffe (Substanz), die in den von den Unternehmen auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebrachten Produkten enthalten sind, liegt unter 1 Tonne pro Jahr.
  2. Stoffe von in Verkehr gebrachten Produkten in Abwässern sind schnell biologisch abbaubar. Zur Überprüfung ist ein OECD-Standardtest verfügbar.
  3. Die Stoffe verursachen am Ende ihrer Lebensdauer keine Mikroverunreinigungen.

Offen ist, worauf sich die Menge von „einer Tonne“ bezieht und wie man feststellt, ob ein Stoff am Ende seiner Lebensdauer Mikroverunreinigungen verursacht, wenn dazu keine Daten vorhanden sind. Diese zu generieren, kann laut Experten pro Stoff bis zu 100.000 Euro kosten.

Viele Fragen sind offen

Es gibt viele Unklarheiten im Zusammenhang mit der neuen Richtlinie, aber eines steht fest: Die Kosten, die da auf die betroffenen Unternehmen zukommen, sind dramatisch hoch.

Zu hinterfragen ist weiterhin, warum nur zwei Industriesektoren diese enormen Kosten tragen sollen. Die IGEPHA wies frühzeitig darauf hin, dass die Datengrundlage für das von der EU Kommission vorgestellte Impact Assessment unzureichend war, wie durch ein wissenschaftliches Gutachten zur Kommunalen Abwasserrichtlinie bestätigt wurde, das europäische Schwesternverbände der IGEPHA in Auftrag gegeben hatten.

Was ein unabhängiges Gutachten ergab

Warum die pharmazeutische Industrie – wie im Impact Assessment angeführt – für 66% der Mikroschadstoffe im Abwasser verantwortlich sein soll, konnte dabei nicht beantwortet werden. Die Analyse von 22 nicht in das Impact Assessment einbezogenen Studien ergab vielmehr, dass die in kommunalen Gewässern festgestellten Mikroschadstoffe überwiegend nicht nur Arzneimitteln, sondern vielfältigen Produktgruppen zugeordnet werden können: u.a. sind das schwer abbaubare Per- und Polyfluorierte Chemikalien (PFAS), Industriechemikalien, Mikroplastik, Pestizide, Biozide, Kunststoffadditive und künstliche Süßstoffe für Lebensmittel.

Trotz dieses unabhängigen wissenschaftlichen Gutachtens wurde die Verantwortung für die Finanzierung der 4. Reinigungsstufe nicht auf alle beteiligten Industriebereiche verteilt.

Warnung vor Verschwinden von Arzneimitteln vom Markt

Es gibt bereits Stimmen, die vor einem Verschwinden von Arzneimitteln vom Markt warnen.

Der österreichische Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Gerhard Kaniak nahm die Bedenken der IGEPHA zum Anlass für eine parlamentarische Anfrage an die Minister Dr. Martin Kocher (Bundesministerium Arbeit und Wirtschaft) und Johannes Rauch (Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz).

Die Antworten der Minister

Auf die Frage „Welche Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln und Medizinprodukten bzw. den Pharmaproduktionsstandort würde (…) die Umsetzung der kommunalen EU-Abwasserrichtlinie bedeuten?“ antworteten die angesprochenen Minister:

Minister Martin Kocher: „Die Umsetzung der Kommunalen Abwasserrichtlinie der EU fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft.“

Minister Johannes Rauch: „Zulassungsinhaber und Vollgroßhändler haben gemäß § 57a AMG für eine angemessene und kontinuierliche Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln zur Deckung des Bedarfs der Patient:innen in Österreich Sorge zu tragen. Die Einhaltung von Umweltstandards steht dieser Versorgungsverpflichtung nicht entgegen. Darüber hinaus werden für die Umsetzung von EU-Richtlinien in der Regel ausreichende Umsetzungsfristen und Übergangszeiträume eingeräumt, die es sowohl den betroffenen Verkehrskreisen, als auch den Mitgliedsstaaten ermöglichen, allfällige Auswirkungen zu berücksichtigen bzw. abzufedern.“

Wie geht es weiter?

Die Richtlinie wird 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Die Mitgliedsstaaten sind dann für die Umsetzung der Anforderungen verantwortlich.

Die IGEPHA unterstützt betroffene Mitglieder aus der Self Care Industrie mit Informationen von Fachexperten zu Handlungsoptionen.

Kontaktieren Sie mich, wenn Sie mehr wissen wollen.