Mehr Self Care – mehr Zeit beim Arzt

Der durchschnittliche Besuch beim Hausarzt dauert in Österreich fünf Minuten. Das ergab eine internationale Studie. Durch mehr Self Care könnten ärztliche Kapazitäten freigespielt werden.

Wie lange dauern Arztbesuche bei praktischen Ärzten und welche Auswirkungen hat die Dauer des Arztbesuches auf die Qualität der Gesundheitsversorgung und das Wohlbefinden der Ärzte? Ein Forscherteam analysierte dazu 178 Studien aus 67 Ländern und fasste die Ergebnisse in einer 2017 publizierten Studie zusammen. Mehr als 28 Millionen Arzt-Konsultationen wurden für die großangelegte Analyse herangezogen.

Nur fünf Minuten für den Patienten

Österreich liegt laut dieser Studie mit einer durchschnittlichen Konsultationsdauer beim Praktischen Arzt von fünf Minuten im untersten Bereich. Dieses Ergebnis beruht allerdings auf nur einer Studie, deren Qualität von den Autor:innen als „poor“ bewertet wurde. Für Deutschland wurde eine qualitativ hochwertige Studie herangezogen, demnach liegt in unserem Nachbarland die durchschnittliche Konsultationsdauer bei 7,6 Minuten.

Die durchschnittliche Beratungsdauer beim Praktischen Arzt erstreckte sich laut den Ergebnissen der analysierten Studien von 48 Sekunden in Bangladesch bis 22,5 Minuten in Schweden.

Verteilung der durchschnittlichen Dauer von Arztbesuchen

  • In 15 Ländern lag die Konsultationsdauer bei unter fünf Minuten
  • In 25 Ländern hatten die Ärzte zwischen fünf und 9,9 Minuten Zeit für die Patient:innen
  • Elf Länder wurden mit einer Arztbesuchsdauer von 10 bis 14,9 Minuten erfasst
  • 13 Länder erreichten eine Konsultationsdauer von 15 bis 19,9 Minuten
  • In drei Ländern widmeten Hausärzte ihren Patient:innen pro Besuch mehr als 20 Minuten Zeit

Die Autor:innen bezeichnen eine Konsultationsdauer von fünf Minuten oder weniger als „besorgniserregend“. Eine derart kurze Konsultationsdauer dürfte sich negativ auf die Patientenversorgung sowie auf die Arbeitsbelastung und den Stress des beratenden Arztes auswirken, heißt es in der Studie.

In den analysierten Studien gebe es Hinweise darauf, dass kurze Arztbesuche zu Polypharmazie führen und für einen übermäßigem Einsatz von Antibiotika sowie unzureichende Kommunikation mit den Patient:innen verantwortlich sein können.

In fünf Minuten kann nur wenig erreicht werden

In weniger als fünf Minuten könne wenig erreicht werden, so die Autor:innen. Diese Zeit reiche kaum eine Triage und die Ausstellung von Rezepten – wichtige weitere Maßnahmen seien kaum durchführbar.

Zeitmangel sei somit ein Hindernis für eine fachkundige allgemeinmedizinische Versorgung und führe bei Ärzt:innen vermehrt zu Burnout. Das liege daran, dass sich Ärzt:innen bei der Behandlung komplexer Krankheiten weniger produktiv und kompetent fühlen, wenn ihnen nur wenig Zeit für die Beratung bleibt.

Die Studienautor:innen empfehlen den politisch Verantwortlichen, den Vergleich mit Gesundheitssysteme in anderen Ländern zu suchen, die durch gut geplanten Ressourceneinsatz längere durchschnittliche Beratungszeiten beim Hausarzt erzielen.

Sichere und sparsame Verschreibung von Medikamenten

Die durchschnittliche Beratungszeit sei eine international anerkannte Kennziffer für die Effizienz der Gesundheitsversorgung und lasse auch Rückschlüsse auf die sichere und sparsame Verschreibung von Medikamenten zu.

In Österreich noch viel freies Potenzial für Self Care

Im Rahmen einer europäischen Studie mit dem Titel „Self-Care in Europe: Economic and Social Impact on Individuals and Society“ ermittelten die Gesundheitsökonomen Cosima Bauer und Uwe May 2022 Potentiale für das gesundheitliche Selbstmanagement unter Verwendung rezeptfreier Arzneimittel und Gesundheitsprodukte für Österreich.

In ihrer Analyse stellen May und Bauer fest: „In jedem Fall, in dem sich ein Patient für die Selbstbehandlung anstelle eines Arztbesuchs entscheidet, wird ärztliche Arbeitszeit im Umfang von durchschnittlich 11,5 Minuten freigesetzt. Diese Zeit steht somit z.B. für andere wichtige Behandlungsfälle zur Verfügung.“

28,6 Millionen Mal pro Jahr ersetzt schon jetzt Selbstmedikation den Arztbesuch, wodurch die zeitliche Belastung der Hausarztordinationen um 5,5 Millionen Stunden reduziert werde, heißt es in der Studie.

Jeder vierte Hausarzt-Kontakt wäre durch Self Care ersetzbar

In Österreich bestehe ein zusätzliches Potenzial für die Selbstmedikation durch die Substitution von 25% der gegenwärtigen Hausarztkontakte, das entspricht 14,6 Millionen Fällen selbst behandelbarer Erkrankungen – etwas mehr als eineinhalb Arztbesuche pro Einwohner:in.

Dadurch könnten Zeitkapazitäten der Hausärzt:innen in Österreich für die Beratung und Behandlung von Patient:innen mit ernsten Erkrankungen freigespielt und das Gesundheitssystem in Österreich nachhaltig entlastet werden.

Quellen:

International variations in primary care physician consultation time: a systematic review of 67 countries. Autor:innen: Greg Irving, Ana Luisa Neves, Hajira Dambha-Miller, Ai Oishi, Hiroko Tagashira, Anistasiya Verho, John Holden

Link zur Publikation: International variations in primary care physician consultation time: a systematic review of 67 countries | BMJ Open

May, Uwe; Bauer, Cosima; Schneider-Ziebe, Anissa; Giulini-Limbach, Chiara:
Self-Medication in Europe: Economic and Social Impact on Individuals and Society
Link zur Publikation: Artikel online lesen