Self Care und Consumer Health Care mit rezeptfrei erhältlichen Produkten sind ideal dafür geeignet, leichte Beschwerden wie Husten, Halsweh und Rückenschmerzen souverän und autonom zu lindern. Durch sogenannte „Switches“ könnten noch mehr Medikamente ohne Verschreibungspflicht zugänglich gemacht werden.
PAGB, der britische Schwesternverband der IGEPHA, hat im Self-Care Census 2024 erhoben, dass sich 89% der Erwachsenen bei der Anwendung von rezeptfreien Medikamenten zur Behandlung von Krankheitssymptomen sicher fühlen. Das ist, so heißt es in dem Report, ein Anstieg um acht Prozentpunkte im Vergleich zu 2023 – das Vertrauen in OTC-Präparate hat in Großbritannien somit weiter zugenommen.[1]
Zugleich wünschen sich drei von vier britischen Erwachsenen, dass mehr Medikamente ohne ärztliches Rezept in Apotheken erhältlich sind. So sollten bestimmte Antibiotika, Schmerzmittel und Medikamente zur Behandlung von Akne und Ekzemen aus der Verschreibungspflicht entlassen werden.[2]
Österreich hat bei der Rezeptfreiheit Aufholbedarf
Vergleicht man die Verfügbarkeit von rezeptfreien Arzneimitteln in Österreich mit der Situation in anderen Ländern, so stellt man fest, dass viele Arzneimittelsubstanzen anderswo längst ohne ärztliche Verschreibung erhältlich sind, für die man in Österreich immer noch eine Arztordination aufsuchen muss.
Die Autoren Cosima Bauer und Uwe May sprechen in ihrer Studie „Potenziale und Chancen von OTC-Switches in Österreich“ sogar von „Substanzlücken“. Diese treten dann auf, wenn in mehreren oder sogar in der Mehrzahl von vergleichbaren Ländern bestimmte Arzneimittelsubstanzen rezeptfrei erhältlich sind, in Österreich jedoch nicht.[3]
„Ein niederschwelliger Zugang zur Versorgung führt (…) oftmals dazu, dass eine adäquate Therapie überhaupt erst in Anspruch genommen wird“, schreiben Bauer und May.[4] So herrsche in Österreich beispielsweise eine Unterversorgung mit rezeptfrei erhältlichen Triptanen. „Migränepatienten kann der Weg zum Arzt oftmals nicht zugemutet werden“, erwähnen die Forscher. Eine frühzeitige Selbstbehandlung mit rezeptfreien Medikamenten würde jedoch zu einem hohen Gewinn an gesundheitsbezogener Lebensqualität führen und auch positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft mit sich bringen, weil Betroffene rascher wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren könnten.
Jeder Euro für OTC spart dem Gesundheitssystem bares Geld
Gleichzeitig entlastet Self Care mit rezeptfreien Arzneimitteln das Gesundheitssystem. Uwe May und Cosima Bauer haben berechnet, dass jeder Euro, der in Österreich für Selbstmedikation ausgegeben wird, dem Gesundheitssystem im Durchschnitt rund fünf Euro an direkten Kosten einspart.[5]
Im Umkehrschluss müssten Ärztinnen und Ärzte in Österreich 5,5 Millionen Stunden Arbeitszeit zusätzlich leisten, gäbe es die Möglichkeiten der Self Care, wie sie heute bereits praktiziert werden, nicht. Das entspricht der Arbeit von 2693 zusätzlichen ärztlichen Vollzeitarbeitskräften.[6]
Digitale Quellen – Stärken und Schwächen
Bei der Suche nach Gesundheitsinformationen leistet das Internet eine oft genutzte Hilfestellung. 65 % der Befragten gaben in der Spectra-Studie zur Self Care-Kompetenz der Österreicher:innen an, das Internet im zurückliegenden Jahr konsultiert zu haben, um sich zu Gesundheitsfragen zu informieren.[7] Andere Quellen (etwa die Österreichische Gesundheitskompetenz-Erhebung HLS19-AT) geben hier sogar rund drei Viertel der erwachsenen Österreicher:innen an. Mehr als ein Viertel (26 %) konsultieren Dr. Google demnach sogar mindestens einmal pro Woche.[8]
Eine Herausforderung für viele Menschen ist dabei die Einschätzung, ob es sich bei den Informationen aus dem Internet um verlässliche und vertrauenswürdige Empfehlungen handelt. 30 % der Menschen, die das Internet zur Klärung von Gesundheitsfragen verwenden, haben laut der österreichischen Health Literacy-Studie HLS19-AT im Bereich der digitalen Gesundheitskompetenz klare Defizite. Das sind rund 1,76 Millionen Personen ab 18 Jahren.[9]
Die größten Schwierigkeiten in Bezug auf die digitale Gesundheitskompetenz traten in folgenden Bereichen auf:
- Beim Beurteilen, ob hinter den angebotenen Informationen wirtschaftliche Interessen stehen (für 50 % der Befragten ist diese Entscheidung sehr schwierig oder schwierig).
- Beim Beurteilen, ob die gefundenen Informationen vertrauenswürdig sind (für 47 % der Befragten ist diese Entscheidung sehr schwierig oder schwierig).
- Bei der Nutzung der gefundenen Informationen, um ein konkretes Gesundheitsproblem zu lösen (für 32 % der Befragten ist diese Entscheidung sehr schwierig oder schwierig).
- Beim Beurteilen, ob die gefundenen Informationen auf die eigene Person zutreffen (für 30 % der Befragten ist diese Entscheidung sehr schwierig oder schwierig).[10]
Die Consumer Health Care Interessenvertretung IGEPHA setzt sich daher dafür ein, dass einerseits die (digitale) Gesundheitskompetenz gefördert, andererseits öffentliche Gesundheitswebsites und digitale Tools noch benutzerfreundlicher und leichter verständlich gestaltet werden. Dadurch kann die Self Care gestärkt und den Druck auf die Primärversorgung verringert werden.
Wussten Sie schon…
…dass es uns OTC-Produkte ermöglichen, geringfügige Beschwerden angemessen und effektiv zu behandeln sowie selbst präventiv für unsere Gesundheit zu sorgen, ohne das öffentliche Gesundheitssystem zu belasten? Dabei steht die Abkürzung „OTC“ für „over the counter“, also den freien Verkauf ohne Rezeptpflicht. Neben rezeptfreien Medikamenten sind noch weitere Gesundheitsprodukte wie Nahrungsergänzungsmittel (wie Vitamine oder Mineralstoffe), Medizinprodukte (beispielsweise Verbandsmaterial oder Kondome), Homöopathika und Kosmetika ohne ärztliche Verschreibung erhältlich.
…dass „Switch“ eine Bezeichnung für den Prozess der Neuklassifizierung ist? Von einem Switch spricht man, wenn Medikamente aus der Rezeptpflicht entlassen werden und anschließend als OTC-Produkte frei verfügbar sind. Durch Switches werden bewährte und bei korrekter Anwendung sichere Medikamente der Bevölkerung zur Behandlung ihrer alltäglichen Erkrankungen einfach zugänglich gemacht.
Tipp:
Dieser Blogbeitrag ist Teil 3 einer Serie.
Lesen Sie auch Teil 1: Warum wir Self Care zur Priorität Nr. 1 machen müssen
Und Teil 2: Krank, aber nicht hilflos: Wie Self Care wirkt
Quellen:
[1] The Self-Care Census 2024: Consumer trends in self-treatable conditions, confidence and access. Quelle: www.pagb.co.uk/content/uploads/2024/07/Self-Care-Census-Report-2024_FINAL.pdf
[2] Ebenda
[3] Potenziale und Chancen von OTC-Switches in Österreich. Cosima Bauer, M. A., Prof. Dr. Uwe May. Rheinbreitbach, 2017. Seite 31.
[4] Ebenda. Seite 95.
[5] Ebenda. Seite 105.
[6] Soziale und ökonomische Effekte der Selbstmedikation in Österreich. Status quo und Zukunftspotentiale. Eine Ausarbeitung für die Interessensgemeinschaft österr. Heilmittelhersteller und Depositeure (IGEPHA). Cosima Bauer, M.A., Prof. Dr. Uwe May, Anissa Schneider-Ziebe, M.Sc. Rheinbreitbach, April 2022. Seite 6.
[7] Marketingreport: Die Self Care-Kompetenz der ÖsterreicherInnen. Entwicklungen und Trends 2022. Spectra Marktforschung, Linz.
[8] https://oepgk.at/website2023/wp-content/uploads/2023/04/hls19-at-bericht-bf.pdf
[9] Ebd.
[10] Ebd.