Enforced Change unter der MDD

Schon vor der Verschiebung der MDR (Medical Device Regulation) um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 war die Verfügbarkeit von Benannten Stellen ein Thema, um eine ausreichende Anzahl an Benannten Stellen für die MDR zu notifizieren. Genauso wichtig ist aber auch die Frage des Wechsels der Benannten Stelle. Dr. Horst Poosch, Head of Quality Management & Regulatory Affairs des IGEPHA Mitglieds Panaceo International GmbH, hat hierzu einen Gastbeitrag für uns verfasst.

Es gibt mehrere Gründe, die zu einem Wechsel der Benannten Stelle führen können. Von Bedeutung war dabei vor allem der freiwillige Wechsel (voluntary change) des NB (Notified Body), der weitestgehend unproblematisch ist. Der unfreiwillige Wechsel (enforced Change) des NB wurde erst zum Thema mit den Folgen der nach dem PIP-Skandal 2008 gestarteten europaweiten Überprüfung der Tätigkeiten der Benannten Stellen (Joint Assessments) durch die Europäische Kommission gemeinsam mit den nationalen Überwachungsbehörden (Competent Authories). In der Folge reduzierte sich die Anzahl der NB auf rund die Hälfte und zudem wurden teilweise auch die Scopes auf deren Basis das EG-Zertifikat ausgestellt wurde (primär relevant für Borderline-Produkte wie stoffliche Medizinprodukte) eingeschränkt. Sowohl bei Wegfall des NB als auch bei Verlust des Scopes, kommt es zu einem zeitnahen Untergang des Zertifikats und damit unfreiwillig zu einem zeitaufwändigen Wechsel des NB. Diese Situation kann sich mit der Notifzierung auf die MDR fortsetzen, oder sogar weiter verschärfen, sowohl hinsichtlich der Anzahl an NB als auch der Breite an Scopes. Ein enforced change während der transition period des Art. 120 Abs. 3 MDR bringt noch zusätzliche mit sich, dass ein neues Zertifikat nur in Form einer MDR-Neuzertifizierung erfolgen kann, womit die Nutzung der transition period gemeinsam mit dem MDD Zertifikat untergeht.

Es gibt viele Ursachen für einen Wechsel der Benannten Stelle, aber wenige Regelungen und keine spezifischen Normen im Rechtssinn. Ein Best-Practice-Guide findet sich im NBOG Guidance Dokument 2006-1 „Change of Notified Body“, das die Vorgangsweise bei einem voluntary change und einem enforced change behandelt. Gerade der enforced change bereitet hier Probleme, da der Übergang von einem NB zum nächsten regelmäßig länger braucht als das alte Zertifikat bestehen bleibt und damit entsteht eine Lücke, eine Periode ohne Zertifikat. Das NBOG Guidance Dokument sieht für diese Phase vor, dass die Competent Authority eine Period of Grace gewährt, damit der Hersteller während dieser Phase die betroffenen Produkte weiter produzieren, bzw. in Verkehr bringen, bzw. in Betrieb nehmen kann.

Die gewählte Formulierung in dem NBOG Guidance Dokument lässt eine konkrete Verpflichtung der Behörde zur Gewährung einer PoG vermuten: “The Competent Authority also has to take appropriate steps to ensure that another NB is taking over the tasks and (…) to ensure that appropriate transfer measures are taken as well as time limits kept. (…) CAs may allow the manufacturer to place devices on the market for a certain time with the identification number of the previous NB although this NB does not offer its service any longer or is no longer existent.”

Allerdings kann eine Behörde gem. des Legalitätsprinzips des Art 18 Abs 1 B-VG immer eine Norm im Rechtssinn, also typischerweise ein Gesetz oder eine Verordnung, auf dessen

Grundlage sie (öffentlichrechtlich) handeln kann. Ein NBOG-Guidance Dokument ist aber nur eine Best-Practice-Empfehlung einer privaten Organisation und keine Norm im Rechtssinn. Die Behörde kann keinen Bescheid aufgrund eines NBOG-Guidance-Dokuments erlassen, selbst wenn sie das will.

Eine Lösungsmöglichkeit ergibt sich aus einem Screening der Österr. Rechtslage, das zu zwei Paragraphen des MPG führt, die für diesen Fall einschlägig sein können. Das ist zunächst der § 22 Abs 2 MPG, der den Fall der Nichtkonformitäts-Vermutung regelt und der § 23 Abs 1 MPG, der den Fall der Nichtkonformitäts-Gewissheit regelt. Ob der Verlust des Zertifikats bloß die Vermutung aufkommen lässt, dass die CE-Kennzeichnung ungerechtfertigt angebracht wird oder die Gewissheit, ist ein Einzelfallentscheidung und davon abhängig, welcher Natur das EG-Zertifikat einerseits ist und in welcher Sphäre der Zertifikatsverlust andererseits zu verantworten ist. Liegt die Ursache außerhalb der Sphäre des Herstellers, liegt eher das Verdachtsmoment des § 22 Abs 2 MPG vor, im Zweifel kommt tendenziell der § 23 Abs 1 MPG zur Anwendung.

Grundsätzlich hat damit die Behörde die Möglichkeit auf Antrag oder von Amts wegen ein Marktüberwachungsverfahren starten und eine Frist zur Wiederherstellung der Rechtskonformität vorzugeben. Die Möglichkeit besteht grundsätzlich dann, wenn keine Sicherheitsbedenken vorherrschen, die die Behörde zwingen würden eine andere Handlungsalternative der §§ 22 und 23 MPG vorzuziehen. Die Frist wird sich nach dem Einzelfall richten, ist aber aufgrund des Übergangs von der MDD zur MDR jedenfalls mit 25. Mai 2021 limitiert. Gelingt die Zertifizierung bis dahin nicht, kann auch die Regelung des Art 120 Abs 3 MDR nicht in Anspruch genommen werden und in der Folge wäre eine Rücknahme und ein Rückruf aller im zertifikatslosen Zustand erzeugten und in Verkehr gebrachten Produkte kaum zu vermeiden.

Dr. Horst Poosch, 17.05.2020.
Disclaimer: Diese Information erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit, versteht sich als Diskussionsbeitrag und stellt kein Rechtsgutachten dar, insbesondere besteht kein Haftungs- und Gewährleistungsanspruch.